Einführung von Hermann Karcher und Konrad Polthier
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Das Treiben bunt schillernder Seifenblasen übt auf jeden Betrachter eine magische Faszination aus und führt seine Gedanken zu eigenen Spielen in frühester Jugend zurück. Hinter diesem lustigen Treiben stecken jedoch tiefe mathematische Probleme und praktische Anwendungen in Architektur, Physik und Chemie, denen man sich trotz ihrer Komplexität mit dem Video Palast der Seifenhäute spielerisch nähern kann.
Seifenhäute in der Mathematik
Die Blasenform ist nur ein einfachstes Beispiel eines unglaublichen Formenreichtums, den Seifenhäute hervorbringen können. Machen wir ein einfaches Experiment mit Seifenhäuten in der Küche: wir tauchen eine gebogene Drahtschlinge in eine Mischung aus Wasser und Spülmittel, und bei vorsichtigem Herausziehen bildet sich eine Seifenhaut. So unglaublich es klingt, diese Seifenhaut löst ein uraltes mathematisches Problem, und das mit verblüffender Eleganz und Leichtigkeit. Die Seifenhaut zieht sich nämlich wegen ihrer Oberflächenspannung möglichst klein zusammen und besitzt daher die kleinste Oberfläche unter allen Flächen, die von der Drahtschlinge berandet werden.
Die exakte Beschreibung und das Studium von Flächen mit kleinster Oberfläche zu einem vorgegebenen Rand war das Ziel eines jahrhundertelangen Forschens von Mathematikern bis in unsere Zeit, und es hat in den letzten Jahren mit Hilfe computergraphischer Methoden einen neuen Frühling erlebt.
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Ein Optimum zu finden gehört zu den Problemen in vielen Lebensbereichen. Wir versuchen täglich kürzeste Strecken zu finden oder in schnellster Zeit etwas zu erledigen. Der Mathematiker Lagrange erkannte vor 200 Jahren, daß das Problem der Flächenminimierung ein charakteristisches Standardbeispiel darstellt und ein genaues Studium seiner Eigenschaften weitreichende Erkenntnisse für viele andere sogenannte Variationsprobleme zur Folge haben würde. In der Tat sollte sich dieses bewahrheiten. Der Schwierigkeitsgrad der auftretenden Probleme überstieg die Leistungsfähigkeit des mathematischen Handwerkszeugs des 18. Jahrhunderts und nötigte die Mathematiker der nächsten Generationen zur Entwicklung mannigfacher Techniken in verschiedenen Bereichen der Mathematik, vor allem in Differentialgeometrie, komplexer Analysis, Theorie der partiellen Differentialgleichungen und Variationsrechnung.
Von der Bedeutung des Problems zollen auch wertvolle Preise, die für Teillösungen verliehen wurden. Als spektakulärster Preis wurde 1936 Douglas die Fieldsmedaille (Mathematiker erhalten keinen Nobelpreis) für sein Lebenswerk verliehen, das in der allgemeinen Lösung des Seifenhautproblems gipfelte.
Architektur und Zeltdächer
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Es sind jeweils spezielle Eigenschaften der Minimalflächen, derentwegen man sie in vielen anderen Gebieten verwendet. Ihre definierende Eigenschaft, nämlich kleinste Oberfläche zu haben, ist in der Architektur im Leichtbau und bei leichten Flächentragwerken seit den 50er Jahren zielstrebig ausgenutzt worden. Zu den spektakulärsten Bauwerken dieser architektonischen Periode gehören Dachkonstruktionen wie zum Beispiel das Münchener Olympiastadion und die ehemalige Kongreßhalle in Berlin, aber ebenso die kleineren Zeltdächer der vielen Pavillons in Parks und anderen öffentlichen Plätzen geben davon Zeugnis.
Trotz ihrer bisweilen immensen Dimension wirken die Dächer nicht erdrückend, sondern laden mit ihren beschwingten und leichten Formen zum Beschauen und Verweilen ein. Vernachlässigt man die Schwerkraft so haben die Dächer die Form riesiger Seifenhäute, die entlang ihres Randes eingespannt und an manchen Punkten aufgehängt sind. Keine andere Dachform könnte mit geringerer Oberfläche konstruiert werden, und so wird der Materialverbrauch und damit das Gewicht auf ein Mindestmaß reduziert. Gleichzeitig wirkt die ausgeglichene Oberflächenspannung, die sich wie bei einer Seifenhaut in jedem Punkt aufheben muß, stabilisierend auf die gesamte Konstruktion.
Kristallographische Modelle und Zeolithe
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Im Gegensatz zu einer Seifenblase, die ein Luftvolumen unter Druck einschließt, befindet sich eine Seifenhaut in einem Gleichgewicht, bei der auf jeder ihrer beiden Seiten der gleiche Druck herrscht. Seifenhäute (ohne Selbstschnitte) zerlegen deshalb z.B. einen Raum in einem Behältnis in zwei Gebiete; sie sind also Trennflächen zwischen den beiden Gebieten. Diese natürliche Trenneigenschaft ist bei mehreren physikalischen Modellen beobachtet worden: Polymerchemiker führten Experimente zum Mischungsgleichgewicht zweier langkettiger Polymere durch. Anders als Wasser und öl, die sich übersichtlich schichten lassen, bilden diese beiden Polymere kompliziert verschlungene Strukturen. Rasterelektronenmikroskopische Projektionsaufnahmen enthüllten eine frappierende ähnlichkeit mit Bildern periodischer Minimalflächen und halfen zu einem besseren Verständnis.
Zeolithkristalle bestehen aus einem Gerüst aus Silizium-, Aluminium- und Sauerstoffatomen, dessen Zwischenräume mit Kristallwasser ausgefüllt sind. Bei vorsichtigem Erhitzen verdampft das Wasser und hinterläßt ein hochporöses Kristallgerüst, das als Ionenaustauscher, Molekularsieb und beim Erdöl-Cracken verwendet wird. Es stellt sich heraus, daß die tetraedischen Baueinheiten von Sodalith in der Form einer Minimalfläche von Schwarz auftreten. ähnliche Zusammenhänge hat man bei anderen Zeolithen gefunden.
Eine verblüffende ähnlichkeit wurde bei der Untersuchung der elektrischen Felder in Kristallgittern zwischen Minimalflächen und Nullpotentialflächen gefunden, bei denen in den Gitterpunkten des Kristalls Punktladungen sitzen. Die Minimalflächen spielen in diesem Zusammenhang jedoch eher die Rolle von Prototypen räumlicher Strukturen, wie ja auch sonst die Wirklichkeit in der Regel kompliziterte ist als ihre übersichtlichen mathematischen Modelle.
Mathematische Visualisierung
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Zu vielen Bereichen der Mathematik gibt es keine Experimente. mit denen die Forscher ihrer Intuition nützliche Hilfestellung geben können. In der Theorie der Minimalflächen stammen zwar mehrere Fragestellungen aus Seifenhautexperimenten z.B. des berühmten Mathematikers Courant oder des Physikers Plateau, allerdings mußten sich solche Experimente wegen der Labilität der Seifenhaut auf relativ einfache Fragestellungen beschränken.
Wie in vielen anderen Bereichen haben hier Computertechnik und modernste Visualisierungsverfahren neue Einsichten geschaffen und zu spektakulären Durchbrüchen verholfen. Dieses neue Handwerkszeug ermöglicht Forschern experimentelles Arbeiten mit fast perfekten künstlichen Seifenhäuten in virtuellen Räumen. Neben dem technischen Gerät ist hierfür die enorme Entwicklung von Methoden und Techniken der mathematischen Visualisierung während der letzten Jahre verantwortlich. Hierzu gehört u.a. die Entwicklung neuer diskreter Techniken zur Beschreibung von Geometrien und Eigenschaften, ebenso wie Verfahren zur Visualisierung und Entwicklung von Softwarepaketen als Experimentierumgebungen.
Das Video
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Das Video Palast der Seifenhäute ist ein mathematischer Spielfilm über das Gebiet der Seifenhäute und ist inklusive der handelnden Figuren vollständig computergraphisch erzeugt. Mit seinem Ansatz, Wissenschaft als Spielfilm zu präsentieren, betritt das Produktionsteam Neuland und eröffnet auf lebendige Weise das Material einem breiten Publikum.
Obgleich der Film populärwissenschaftlichen Charakter besitzt, stammt das verwendete Bildmaterial aus der aktuellen Forschung und ist zum großen Teil selbst für Spezialisten neu. Damit enthält der Film eine zweite Verständnisebene, die allerdings erst Studenten zugänglich ist und eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Gebiet der Minimalflächen voraussetzt. Dem Interessierten möchten wir die angegebene populärwissenschaftliche Literatur empfehlen, in der auch weitere Referenzen zu finden sind.
Prof. Dr. Hermann Karcher ist Professor für Mathematik, Schwerpunkt Differentialgeometrie, an der Universität Bonn. Mit Unterstützung durch den Sonderforschungsbereich 256 haben er und seine Schüler in den letzten zehn Jahren die Konstruktionsmethoden für Minimalflächen sehr erfolgreich weiterentwickelt.
Dr. Konrad Polthier ist Schüler von Karcher und habilitiert in Differentialgeometrie an der Technischen Universität Berlin und dem dortigen Sonderforschungsbereich 288. Er gehört zu den Pionieren auf dem Gebiet der mathematischen Visualisierung.
Das Video wurde produziert von Andreas Arnez, Konrad Polthier, Martin Steffens und Christian Teitzel am Sonderforschungsbereich 256 der Universität Bonn und Sonderforschungsbereich 288 der Technischen Universität Berlin
Autoren Andreas Arnez, Konrad Polthier, Martin Steffens, Christian Teitzel Produziert an Sfb 256 an der Universität Bonn Sfb 288 an der Technische Universität Berlin Jahr 1995 Sprecher (Deutsche Fassung) Kalle Konrad Bösherz Professor, Computer and Orgelspieler Manfred Wagner Wärter Christoph März Animation Andreas Arnez Martin Steffens Christian Teitzel Figurendesign Andreas Arnez Modellierung Martin Steffens Technischer Director Christian Teitzel Basierend auf einer Geschichte von Konrad Polthier Musik and Geräusche Christoph März Regie Konrad Polthier Studio VTTV Berlin Software Softimage Grape (Sfb 256)
Thanks
Bernd Oberknapp, Matthias Heil, Hermann Karcher, Ralf Neubauer, David Oliver, Armin Ortmann Grape Crew, Computergraphik-Gruppen am Sfb 256 und Sfb 288 Institut für leichte Flächentragwerke an der Universität Stuttgart Sonderforschungsbereiche 256 (Univ. Bonn) and 288 (TU-Berlin)
Literatur
H. Karcher, K. Polthier Die Geometrie von Minimalflächen Spektrum der Wissenschaft 10 (1990)
Hildebrandt, A. Tromba Panoptimum: Mathematische Grundmuster des Vollkommenen Spektrum der Wissenschaft, Heidelberg 1987
K. Wilhem Architekten heute - Frei Otto Quadriga-Verlag Severin 1985
S. Anderson et. al. Minimal Surfaces and Structures: From Inorganic and Metal Crystals to Cell Membranes and Biopolymers Chemical Reviews 88 (1988)
D. Hoffman Computer-Aided Discovery of New Embedded Minimal Surfaces Mathematical Intelligencer 9 (1987)
Spektrum Videothek Seifenblasen in Wissenschaft und Technik