next up previous contents
Nächste Seite: Literatur Aufwärts: Diplom Vorherige Seite: Die 3-Kugel-Eigenschaft von in   Inhalt

Schlußbemerkungen

Es sei am Ende dieser Arbeit noch einmal zurückgeblickt. Trotz des sehr allgemein gehaltenen Titels und des Umfangs dieser Arbeit wird wohl kaum der Eindruck entstanden sein, man hielte hier eine Art Abriß über die in der Literatur vorzufindende Theorie der Lipschitzräume in Händen. Schon Definition 1.1.1 zeigt, daß der Blick hauptsächlich auf diejenigen Lipschitzräume gerichtet ist, die in ein interessantes Wechselspiel mit ihren kleinen Lipschitzräumen treten. In den Kapiteln 2 und 3 sind zwei wesentliche bisher in der Literatur behandelte Aspekte dieses Wechselspiels dargestellt. Während sich jedoch in Kapitel 3 die Entzückung über die vielfältigen Herangehensweisen zur Herleitung und schließlich zur Charakterisierung des Dualitätsergebnisses kaum in Grenzen hält, kann man sich in Kapitel 2 des Eindrucks nicht erwehren, daß man hier auf halber Strecke stehengeblieben ist. Dies zeigt sich übrigens auch in der geschichtlichen Abfolge der Arbeiten, die nach Ciesielski (1960) und Bonic, Frampton und Tromba (1969) mit Johnson (1972/74) und Wulbert (1974) schon vor langer Zeit abbrach. Die Entwicklung im Hinblick auf das Dualitätsresultat nahm zwar mit de Leeuw (1961), Jenkins (1967) und Johnson (1970) einen ähnlichen Verlauf, erfuhr dann aber mit Bade, Curtis und Dales (1987), Hanin (1992/97) und Weaver (1996/97) eine Renaissance, auf die man in Sachen ``Isomorphieresultat'' bis heute wartet. Lassen wir zu diesem Thema Wulbert persönlich sprechen: ``I do think there are some very nice results in that area, and I thought that the topics and achievements there never got as much recognition as they deserved.''

Ideengeschichtlich gab es übrigens (besonders in Bezug auf das Dualitätsergebnis) die beiden Lehrer-Schüler-Linien de Leeuw $ \rightarrow$ Sherbert $ \rightarrow$ Johnson und Bade $ \rightarrow$ Weaver. Aber natürlich läßt auch Kapitel 3 noch Fragen offen. So könnte man zum Beispiel den Versuch unternehmen, die Kantorovich-Rubinstein-Theorie und ihre Auswirkungen auf Lipschitzräume ``aufs Komplexe'' zu übertragen. Man könnte die Separationsbedingung als Eigenschaft eines metrischen Raumes $ K$ unabhängig von den Lipschitzfunktionen auf $ K$ zu fassen versuchen. Und schließlich könnte man im Hinblick auf die ``komplexe Version'' (iv) der Separationsbedingung (in Theorem 3.5.3) nach der optimalen Konstanten für die Fortsetzung komplexwertiger Lipschitzfunktionen (in Satz 1.1.20) fragen, von der man nur weiß (vergleiche Bemerkung 3.5.5), daß sie irgendwo im Intervall $ [2/\sqrt{3},\sqrt{2}]$ liegt. Eigentlich ist es ein Witz, daß man bis heute (siehe [52, S. 18]) ihren ``wahren Wert'' nicht kennt.

Kapitel 2 hinterläßt jedoch schwerwiegendere Lücken, allen voran die Frage, die nur für Kompakta in endlichen Dimensionen mit ``ja'' beantwortet ist: ``Gilt $ \ell ip(K)\simeq c_{0}$ für alle mit Höldermetriken versehenen Kompakta $ K$?'' Man sollte meinen, daß die Chancen hierfür so schlecht nicht stehen, da Kompaktes von Endlichdimensionalem ``oft nicht so weit entfernt'' ist (vergleiche zum Beispiel [55, II.3.5 f]). Als konkreten Anfang in dieser Denkrichtung könnte man sich einmal den Hilbertwürfel in $ \ell^{2}$ vornehmen, um dabei vielleicht aus der Würfelkonstruktion von Weaver (in Bemerkung 2.2.9) eine Dimensionsunabhängigkeit herauszukitzeln. Einen anderen Weg suggerieren die einfachen Fälle in den Abschnitten 2.1 und 2.2, in denen eine Schauderbasis von $ C(K)$ zu einer Schauderbasis in $ \ell ip(K^{\alpha})$ wurde. Und man weiß ja (siehe [59, III.D.19]), daß jeder Raum $ C(K)$ stetiger Funktionen auf einem Kompaktum eine Schauderbasis besitzt.

Verallgemeinerungen der Aussage $ \ell ip(K)\simeq c_{0}$ auf mit verallgemeinerten Höldermetriken versehenen Kompakta sind natürlich auch willkommen, von einer Charakterisierung aller Kompakta, für die diese Aussage gilt, ganz zu schweigen. Und ob die Separationseigenschaft etwas Tiefergehendes mit der Aussage $ \ell ip(K)\simeq c_{0}$ zu tun hat, bleibt auch offen. Eine solche Verbindung zwischen dem zweiten und dem dritten Kapitel würde ja gerade der Satz 2.4.3 herstellen, wenn man denn seinen Beweis vollenden könnte. Alle bislang bekannten punktetrennenden und zu $ c_{0}$ isomorphen kleinen Lipschitzräume auf Kompakta besitzen jedenfalls die Separationseigenschaft. In einem email-Kontakt machte Weaver hierzu den Vorschlag, sich auf der Suche nach Gegenbeispielen einmal Cantormengen im Zweidimensionalen vorzuknöpfen.

In Kapitel 4 wurde nun ein wenig mathematisches Neuland betreten. Hier lernt man wieder den reichen in der Literatur aufzufindenden Fundus über Lipschitzräume zu schätzen und bescheiden zu werden, sich mit unausgegorenen Ideen, unvollendeten Lösungsansätzen und Teilergebnissen zufrieden zu geben. So mag man sich, um der Tatsache wissend, daß die Literatur zum Thema $ M$-Ideale und Lipschitzräume nichts hergibt, etwas daran erwärmen, daß der kleine Hölderraum $ H_{\alpha }^{0}$ nun zumindest als ein echtes, noch nicht mal komplementiertes $ M$-Ideal in einem ``schwachen Hölderraum'', der zwischen $ H_{\alpha }^{0}$ und $ H_{\alpha }$ liegt, erkannt ist. Als nächsten Schritt bieten sich nun zwei Möglichkeiten an. Entweder man steigt tiefer in die Geometrie der Lipschitzräume ein, zum Beispiel durch die Lektüre des Buches [52] von Weaver, oder man bleibt auf dem Boden des Einheitsintervalls und nimmt sich dort noch einmal der Mandelfunktion oder vergleichbarer Beispiele an, um die Verhältnisse hier anschaulich zu verstehen. Dem Leser sei an dieser Stelle die zweite Möglichkeit anempfohlen.

Um nur einen Eindruck davon zu bekommen, was man im Dunstkreis der Lipschitzräume sonst noch antreffen kann, genügt ein Blick in Weavers Buch. Dort wird zum Beispiel über einen Prädualraum von $ Lip(K)$, von dem man übrigens nach wie vor nicht weiß, ob er bis auf isometrische Isomorphie eindeutig ist, die Extremalpunktmenge der Einheitskugel von $ Lip(K)'$ untersucht. Und darüber stößt man auf ein Analogon des Satzes von Banach-Stone (vergleiche [55, S. 382]), mit dem isometrische Isomorphismen zwischen Lipschitzräumen auf Isometrien zwischen den beteiligten metrischen Räumen zurückgeführt werden können. In Bezug auf die Extremalpunkte in $ B_{Lip(K)}$ ist indes viel weniger bekannt, obwohl für das Einheitsintervall eine Charakterisierung schon bei Holmes [20, S. 80] zu finden ist. Auch die multiplikative Struktur in Lipschitzräumen kann man sich natürlich näher ansehen, zum Beispiel im Hinblick auf die Untersuchung von Idealen in $ Lip(K)$ und $ \ell ip(K)$ -- nicht umsonst ist der Titel von Weavers Buch ``Lipschitz Algebras''. So treten beispielsweise, wie bei stetigen Funktionen (siehe [59, I.B.12]), abgeschlossene selbstadjungierte Unteralgebren von $ \ell ip(K)$ über das Analogon zum Satz von Stone-Weierstraß (Theorem 3.5.13) wieder als kleine Lipschitzräume auf einem geeigneten Quotienten von $ K$ auf. Weitere nichttriviale Überlegungen kann man auch noch im Hinblick auf Verbände von Lipschitzfunktionen anstellen, und richtig interessant -- und abstrakt -- wird es, wenn statt Metriken auf Mengen Metriken auf Maßräumen betrachtet werden, um dann danach Ansätze zu verfolgen, mit denen man (wie in Satz 1.2.3) allgemein Lipschitz-stetige Funktionen als in gewissem Sinne ``differenzierbar mit beschränkter Ableitung'' deuten kann.

Um einer allgemeinen Theorie von Lipschitzräumen (in der übrigens Hölderräume oder auch kleine Lipschitzräume nicht die große Rolle spielen wie in der vorliegenden Arbeit) zu ihrem Recht zu verhelfen, holt Weaver in der Einleitung seines Buches weit aus, und dies soll dem Leser hier nicht vorenthalten bleiben. Weaver stellt die Lipschitzräume $ Lip(K)$ auf eine Stufe mit den weitaus besser untersuchten und ``beliebteren'' Räumen $ C(K)$ von stetigen und $ L^{\infty}(K)$ von beschränkten meßbaren Funktionen und behauptet, daß -- genauso wie $ C(K)$- bzw. $ L^{\infty}(K)$-Räume funktionalanalytische Realisationen von topologischen bzw. von Maßräumen darstellen -- $ Lip(K)$-Räume die metrische Struktur funktionalanalytisch widerspiegeln. So ist die Theorie der Lipschitzräume eigentlich eine Theorie der metrischen Räume und, weil es hier im Gegensatz zu topologischen und Maßräumen noch viel zu tun gibt, mächtig im Kommen.

Es gehört zu den Binsenweisheiten wissenschaftlicher Betätigung, daß man beim Bearbeiten von Themen in der Literatur nicht immer auf Wahrheiten stößt. Schmerzlich erfahren mußte dies auch der Autor dieser Arbeit. An den entprechenden Stellen, zum Beispiel in Abschnitt 2.2 und 2.4, wurde auf derartige Vorkommnisse hingewiesen. Dabei waren die Irrtümer nie wirklich schwerwiegend und hatten meist recht amüsante und sogar simple Ursprünge, die einem nur leider allzu oft durch ``sloppy proofreading'' (Weaver) und wohl vor allem ``sloppy proofwriting'' verborgen bleiben. Eine Lüge, einmal in die Welt gesetzt, wird dann zuweilen auch in der Mathematik immer wieder neu aufgetischt und sogar weiterentwickelt. Daß diese Vorgänge manchmal eigenartigste Blüten treiben, sieht man an der folgenden netten Geschichte aus der mathematischen Gerüchteküche. Der mit Recht vielfach gelobte Jenkins bewies 1967 sein Dualitätsergebnis sogar für alle sogenannten ``endlich kompakten'' metrischen Räume $ K$, in welchen die abgeschlossenen Kugeln kompakt sind, indem er $ \ell ip(K^{\alpha})$ durch $ \ell ip^0(K^{\alpha})$ aller im Unendlichen verschwindenden kleinen Hölderfunktionen ersetzte. Johnson griff 1970 dieses Ergebnis auf und verallgemeinerte es auf $ \ell ip^0(K^{\alpha})$-Räume komplexwertiger Funktionen. Es war Hanin 1994, der dieses Ergebnis in Form eines Charakterisierungstheorems weiter verfeinerte und dies noch 1997 in [17] behauptete, als Weaver in einem dummerweise schon kurz vorher erschienenen Artikel [49] dem Treiben durch ein einfaches Gegenbeispiel in $ K={\mathbb{R}}$ ein Ende gesetzt hatte. Ein Blick auf de Leeuws Abbildung in Satz 1.1.10 und die Tatsache, daß es Funktionen gibt, die für $ x\to\infty$ gegen 0 gehen, ohne daß ihre Ableitungen dies tun, hatte gereicht. -- Leider genügt ein Blick auf de Leeuws Abbildung und dieses Beispiel, um einzusehen, daß das Beispiel falsch ist und im Gegenteil die vorhergehenden Behauptungen richtig waren -- vorausgesetzt der Autor dieser Arbeit hat sich dabei nicht geirrt. Solche Vorfälle sind gewiß einerseits sympathische Bestätigungen dafür, daß auch Mathematiker ``nur'' Menschen sind, andererseits sind sie natürlich, wie auch in der vorliegenden Arbeit geschehen, wenn es um die Korrektur der Irrtümer geht, willkommener Anlaß zu Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Weaver jedenfalls machte einen ganzen Artikel draus. In diesem Sinne hofft der Autor, daß der Leser beim Durchgehen dieser Arbeit viel Freude hatte.


next up previous contents
Nächste Seite: Literatur Aufwärts: Diplom Vorherige Seite: Die 3-Kugel-Eigenschaft von in   Inhalt
Heiko Berninger 2003-04-25