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Einleitung

Es ist der Begriff der Stetigkeit zweifellos einer der zentralen Begriffe in der Mathematik. Einerseits kann man diesen Begriff, auf das topologisch ``Allernötigste'' reduziert, derart allgemein mengentheoretisch fassen, daß man zu seinem Verständnis noch nicht einmal wissen muß, was eine Zahl ist. Andererseits wird man facettenreichen Ausdifferenzierungen dieses Begriffs in der Analysis begegnen.

So kann man sich zum Beispiel, wenn man eine stetige Abbildung zwischen zwei metrischen Räumen mit der $ \varepsilon $-$ \delta$-Definition betrachtet, die Frage stellen, ``wie stetig'' diese Abbildung denn eigentlich ist. Handelt es sich beim Urbildraum um ein Kompaktum, so weiß man, daß man zu einem $ \varepsilon $ das $ \delta$ unabhängig vom betrachteten Punkt wählen kann. Ordnet man jedem $ \delta$ das ``größtmögliche'' $ \varepsilon $ zu, mit dem die Definition ``funktioniert'', erhält man den Stetigkeitsmodul $ \omega(\delta)$ einer Abbildung. Je flacher dieser Stetigkeitsmodul für kleine $ \delta$ ist, desto besser wird man die Güte der Stetigkeit einer Abbildung beurteilen.

Eine besonders ``angenehme'' Form der Stetigkeit -- die Lipschitz-Stetigkeit -- liegt vor, wenn die Abbildung nicht ``zu stark dehnt'' in dem Sinne, daß man die Abstände der Bilder stets durch ein Vielfaches der Abstände der Urbilder abschätzen kann. Ist dieses Vielfache kleiner als 1, so handelt es sich um eine kontrahierende Abbildung, die an den Banachschen Fixpunktsatz erinnert, welcher gewiß ein gutes Beispiel für die Tragweite dieses Stetigkeitskonzepts darstellt. Durch die allgemeine Definition der Lipschitz-Stetigkeit lassen sich auch die Hölder-stetigen Abbildungen fassen, deren Stetigkeitsmodul nicht mehr unterhalb einer Ursprungsgeraden, sondern nur noch unterhalb einer Wurzelfunktion liegen muß. Die Hölder-stetigen Abbildungen treten dann als Spezialfälle gewisser Lipschitz-stetiger Abbildungen in Erscheinung.

Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit sind Lipschitz- bzw. Hölder-stetige Funktionen auf Kompakta mit Werten in $ {\mathbb{R}}$ oder $ {\mathbb{C}}$. Funktionen dieser Art kommen in verschiedenen Bereichen der Analysis zur Anwendung. Als erstes wird man an die berühmt gewordene ``Lipschitz-Bedingung'' im Satz von Picard-Lindelöf denken, welche durch eine Anwendung des schon erwähnten Banachschen Fixpunktsatzes die lokale Existenz und Eindeutigkeit, ja sogar die ``sukzessive Approximierbarkeit'', der Lösung von Anfangswertproblemen sicherstellt. Gerade zu diesem Zweck (natürlich ohne den Banachschen Fixpunktsatz zu kennen) wurde diese Bedingung 1868 von Rudolf Lipschitz (1832-1903) eigentlich ersonnen (siehe hierzu [14], [10, S. 543], [36, S. 150] und [37, S. 499]). Um die klassische Lösbarkeit gewisser partieller Differentialgleichungen wie der Poissongleichung oder der inhomogenen Wärmeleitungsgleichung zu gewährleisten, fordert man neben der Stetigkeit der vorgelegten Funktion meist, daß diese zusätzlich eine (lokale) Hölderbedingung erfüllt (siehe Theoreme 3.7 und 11.4 in [56]). Dies wurde erstmals 1882 von Otto Hölder (1859-1937) in seiner Dissertation [21, S. 9 f] (siehe auch [14]) für die Poissongleichung vorgerechnet. Auch in der harmonischen Analysis haben Hölderbedingungen eine Bedeutung. So kann bekanntlich die Fourierreihe einer stetigen Funktion an überabzählbar vielen Stellen oder auf einer dichten Menge oder sogar auf einer Menge von zweiter Kategorie divergieren (siehe [61, Vol. I, S. 301]), wohingegen man bei Hölder-stetigen Funktionen weiß, daß hier die Fourierreihe sogar gleichmäßig gegen die Funktion konvergiert. Letzteres ist das Theorem von Dini-Lipschitz, siehe [61, Vol. 1, S. 63].

Die Menge der Lipschitz-stetigen Funktionen auf einem Kompaktum $ K$ bildet einen (dichten) Unterraum im Raum aller stetigen Funktionen auf $ K$ versehen mit der Supremumsnorm. Indem man jeder Lipschitzfunktion ihre größtmögliche Steigung zuordnet, kann man auf diesem Unterraum eine neue Norm einführen, welche in diesem eine wesentlich feinere Topologie als die Supremumsnorm induziert und ihn zu einem Banachraum, dem (großen) Lipschitzraum $ Lip(K)$, macht. Alle Funktionen, deren Steigungen lokal gegen Null gehen, bilden darin einen abgeschlossenen Unterraum, den kleinen Lipschitzraum $ \ell ip(K)$. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es nun, aus verschiedenen Blickwinkeln der Banachraumtheorie Antworten auf die Frage zu finden: ``Wie liegt der kleine Lipschitzraum im großen?''

Um diese bewußt nicht präzise formulierte Frage angehen zu können, sollen im ersten Kapitel zunächst einige grundlegende Tatsachen zu Lipschitzräumen zusammengestellt werden, und zwar zum einen in Form von allgemeinen Ergebnissen und zum anderen in Form eines naheliegenden Beispiels von Lipschitzräumen auf dem Kompaktum $ [0,1]$. Hier wird auch die Bedeutung der Hölder-Stetigkeit als wichtiger Spezialfall der Lipschitz-Stetigkeit klar.

Im zweiten Kapitel wird die obige Frage zunächst wieder für Lipschitzräume auf dem Einheitsintervall, dann für Lipschitzräume auf Kompakta in $ {\mathbb{R}}^{m}$ -- es handelt sich dabei eigentlich um Räume von Hölderfunktionen -- auf folgende Weise beantwortet: Es gibt einen Isomorphismus des Folgenraums $ \ell ^{\infty }$ auf den großen Lipschitzraum, unter dem der kleine Lipschitzraum als Bild von $ c_{0}$ auftritt. Im allgemeinen Fall wird unter natürlichen Voraussetzungen zumindest eine isomorphe Kopie von $ c_{0}$ als komplementierter Unterraum von $ \ell ip(K)$ gefunden und in $ Lip(K)$ ein zu $ \ell ^{\infty }$ isomorpher Unterraum angegeben. Schließlich wird der Frage nach isometrischen Isomorphismen zwischen $ \ell ip(K)$ und $ c_{0}$ bzw. $ Lip(K)$ und $ \ell ^{\infty }$ nachgegangen, die nur unter sehr starken Einschränkungen an $ K$ existieren. In diesem Zusammenhang wird auch zum ersten Mal der große Lipschitzraum als zweiter Dual des kleinen Lipschitzraums auftreten -- ein Phänomen, das im dritten Kapitel der Arbeit einer näheren Betrachtung unterzogen wird.

Die Tatsache, daß sich in vielen Fällen der kleine zum großen Lipschitzraum ``so ähnlich verhält'' wie der Folgenraum $ c_{0}$ zu $ \ell ^{\infty }$ wird durch den isometrischen Isomorphismus unterstrichen, der zwischen $ \ell ip(K)''$ und $ Lip(K)$ immer dann existiert, wenn $ \ell ip(K)$ eine gewisse Reichhaltigkeitsbedingung erfüllt. Die Überlegungen, die zu diesem Ergebnis führen, werden in Kapitel 3 zusammengetragen. Es werden dabei vier Techniken vorgestellt, die zwar alle den gleichen Ausgangspunkt wählen, sich aber im weiteren Vorgehen stark voneinander abheben und zu unterschiedlich allgemeinen Aussagen führen. Des weiteren wird ein Ansatz zur Sprache kommen, der über eine genaue Analyse des Maßraums über dem betrachteten Kompaktum, versehen mit einer geeigneten Norm, den gewünschten isometrischen Isomorphismus liefert. Schließlich werden die Bedingungen, unter denen dieser Isomorphismus existiert, genauer untersucht.

Im vierten und letzten Kapitel der Arbeit wird die Lage des kleinen Lipschitzraums im großen aus der Perspektive der Theorie über $ M$-Ideale in Banachräumen betrachtet. Nach einer kurzen Darstellung der für diese Erörterung wichtigsten Ergebnisse der Theorie werden Ansätze zur Beantwortung der Frage gesucht, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen der kleine Lipschitzraum ein $ M$-Ideal im großen ist. Im Zuge dessen werden für das in Kapitel 1 betrachtete Beispiel von Lipschitzräumen auf dem kompakten Einheitsintervall die Schwierigkeiten aufgezeigt, die diese Frage aufwirft, und positive sowie negative Teilergebnisse geliefert. Schließlich wird für das Kompaktum $ K=[0,1]$, versehen mit geeigneten Metriken, ein abgeschlossener Unterraum von $ Lip(K)$ angegeben, in dem sich $ \ell ip(K)$ als echtes $ M$-Ideal erweist.




Herzlich danken möchte ich Dirk Werner für seine engagierte, geduldige und sehr persönliche Unterstützung bei der Erstellung dieser Arbeit. Ich habe einiges von ihm gelernt.

Ich denke an all jene, welche der Widrigkeiten kundig sind, die dem ``Ersten im Bunde'' wieder und wieder begegnen, wohlwissend daß es doch am Ende gut geht.

``Und gewinnt das Ufer und eilet fort
Und danket dem rettenden Gotte,
Da stürzet die raubende Rotte
Hervor aus des Waldes nächtlichem Ort,
Den Pfad ihm sperrend, und schnaubet Mord
Und hemmet des Wanderers Eile
Mit drohend geschwungener Keule.''


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Heiko Berninger 2003-04-25