Das übergeordnete Ziel im weiteren Verlauf von Kapitel 3 ist es, der Natur der Dualität
ganz auf den Grund zu gehen und alle kompakten metrischen Räume, für die diese Dualität besteht, vollständig zu charakterisieren. Zu diesem Zweck wollen wir eine Idee von L. G. Hanin aus dem Jahre 1992, zu finden in [15], [16] und [17], zu verstehen versuchen. Hanin hatte Kenntnis von allen bisher in diesem Kapitel behandelten Artikeln, angefangen von de Leeuw [33] bis hin zu Bade, Curtis und Dales [2], und darüber hinaus studierte er frühere Arbeiten des Nobelpreisträgers L. V. Kantorovich (teilweise mit dem Ko-Autor G. S. Rubinstein), deren wichtigste Ergebnisse im Klassiker [29, S. 225-237] über Funktionalanalysis zusammengefaßt sind.
Die Idee von Hanin ist motiviert durch den Rieszschen Darstellungssatz (siehe II.2.5 in [55]), der ja den Dualraum von
für ein Kompaktum
als den Banachraum
von regulären Borelmaßen auf
, versehen mit der Variationsnorm
, identifiziert. Daher ist es alles andere als abwegig, die Frage aufzuwerfen, ob es für den Dualraum des Raums
von spezielleren stetigen Funktionen nicht auch eine Darstellung über Maße auf
gibt, zum Beispiel indem man die Variationsnorm durch eine andere geeignete ersetzt. So war es sicher eine kleine Sternstunde für die Mathematik, als Hanin feststellte, daß diese Frage im Jahre 1942, also bereits 50 Jahre bevor sie gestellt wurde, schon fast beantwortet war -- und noch dazu im Hinblick auf die Dualität
! Natürlich hatte sich der Autor, Kantorovich, damals, als er seine Kantorovich-Rubinstein-Norm definierte, für etwas ganz anderes interessiert, aber so ist es nun mal in der Mathematik.
Der bisherige Umfang dieser Arbeit verbietet eine umfassende Darstellung der Kantorovich-Rubinstein-Theorie, die gleichwohl lohnenswert wäre und auf den Seiten 225-237 in [29] ausführlich dargestellt ist. So wird im weiteren Verlauf das, was man zum Verständnis der Verzahnung dieser Theorie mit unserer Theorie über Lipschitzräume wissen muß, so verdichtet wie möglich beschrieben. Im Hinterkopf haben sollte man dabei die folgenden beiden Defizite der Variationsnorm auf
: Erstens ``sieht'' diese Norm die Metrik auf
``praktisch'' nicht, da sie nach Definition (siehe [55, S. 21/22]) nur von der Topologie auf
abhängt, mithin invariant unter allen Metriken ist, die die gleiche Topologie auf
erzeugen. So kommt es auch, daß für verschiedene Punktmaße
und
auf
stets
gilt. Wir werden demgegenüber sehen, daß die Kantorovich-Rubinstein-Norm
durch
die Metrik
auf
reproduziert. Das zweite Defizit des Raums
besteht darin, daß die Beschreibung seines Dualraums, der auf komplizierte
-Räume führt, sehr schwierig und unanschaulich ist. Der Dualraum von
hingegen ist uns bereits seit 1.1.2 bekannt.
Kantorovich betrachtet in [29] das folgende sehr anschauliche Transportproblem. Es sei eine Menge
von
Orten gegeben, die der Einfachheit halber mit Zahlen
bezeichnet seien. An diesen Orten seien entweder Produzenten oder Konsumenten eines gewissen Produkts angesiedelt. Dabei stehe die Zahl
für die pro Jahr am Ort
produzierten oder konsumierten Einheiten des Produkts, wobei das Vorzeichen von
mit
Produktion und mit
Konsum andeutet. Sind mit
und mit
bezeichnet, so kann man den Vektor
als Anfangszustand (Herstellerebene) und
als Endzustand (Verbraucherebene) auffassen. (Stellt man sich vor, daß an den Orten in
sowohl produziert als auch konsumiert wird, so stellen die
Produktionsüberschüsse und die
Defizite dar.) Insgesamt soll genauso viel produziert wie konsumiert werden (bzw. die Überschüsse und die Defizite sollen sich gerade ausgleichen), so daß man von
Man weiß aus der unter anderem von Kantorovich vorangetriebenen Theorie der linearen Programmierung, daß ein solcher Transportplan immer existiert und auch -- was hier nicht unwichtig sein dürfte -- wie man ihn errechnet. In der Praxis wird man getrost davon ausgehen können, daß ein ``nichttrivialer'' Transport immer etwas kostet und daß Spediteure keine unsinnigen Transportwege wählen. Nimmt man weiter an, daß eine Reise von einem Ort zu einem anderen genauso teuer ist wie die Rückfahrt, so stellt die Matrix
eine Metrik auf
dar.
Auf diese Weise wird man ganz natürlich auf eine Verallgemeinerung des Transportproblems geführt, wenn man die beteiligten Orte nicht mehr zählen möchte oder kann, zum Beispiel wenn sie Punkte in einem unendlichen kompakten metrischen Raum sind. Allgemein hat man nun ein von Kantorovich untersuchtes Massentransportproblem vorliegen. An die Stelle der Vektoren
und
treten nun nichtnegative Maße
und
auf den Borelmengen
von
, wobei man analog zu oben von einer durch
gegebenen Anfangsverteilung überschüssiger Masse auf
(gemessen auf den Borelmengen von
) durch ``Umschichten'' zu einer Endverteilung
dieser Masse kommen möchte. Daß dabei nichts verloren geht, wird wie in (3.4.1) durch
sichergestellt, so daß für das Maß
Wieder versucht man, den Aufwand
für den Massentransport so klein wie möglich zu machen, und Kantorovich zeigt, daß es einen Transport
, für den
minimal wird, immer gibt. Er entwickelt zudem (wie im diskreten Fall) notwendige und hinreichende Bedingungen für ein solches
und baut dafür seine Theorie auf, welche ihn (an dieser Stelle scheint dies fast mysteriös) auch in die Welt der Lipschitzräume führt. Wie schon angekündigt tritt dabei eine neue Norm für Maße auf
in Erscheinung, und hier ist sie:
Man sieht leicht ein, daß mit
Dieses Ergebnis stellt eine erste Verbindung der KR-Norm mit der Metrik auf
her (welche für die Variationsnorm schlichtweg nicht existieren kann, da diese ja über die Topologie bzw. sogar nur über die Borelmengen definiert ist), und speziell folgt das
Das nächste Lemma ist essentiell für alles weitere und läßt mit Blick auf Satz 3.1.7 bereits Gutes hoffen.
Da der Beweis weder schwer noch lang ist und genau das funktioniert, was man gerne täte, sei er hier festgehalten.
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Im nächsten Theorem wird nun die angestrebte Verbindung zwischen den Maßen mit der KR-Norm und den Lipschitzräumen hergestellt. Kantorovich hat dieses Theorem für
und
bewiesen. Es ist aber nicht schwer, das Ergebnis gleich auf
zu übertragen, und das werden wir auch tun, nachdem die dafür passende Definition der KR-Norm auf ganz
vorgenommen wurde.
Für die Punktmaße sieht man sofort
, und weiter gilt mit jedem
die Tatsache
, also sicher
und daher
. Daß der durch die Punktmaße aufgespannte Unterraum dicht in
liegt, folgt unmittelbar aus Lemma 3.4.3. Ist nämlich ein Maß
gegeben, so ist für ein beliebiges
offenbar
. Nun gibt es aber ein Maß
mit endlichem Träger, so daß
gilt. Also ist (unter Beachtung der Äquivalenz der Normen
und
auf
) das Maß
mit endlichem Träger eine Approximation von
bezüglich
.
Jetzt muß nur noch gezeigt werden, daß
und
für unendliches
nicht vollständig sind. Zunächst ist
ein abgeschlossener Unterraum von
und damit selbst ein Banachraum. Denn wäre ein
Häufungspunkt einer Folge
, so hätte man für alle
stets
, also auch
im Widerspruch zu
für
. Aus Lemma 3.4.1 folgt nun, daß die Identität
Da wir in diesem Kapitel isometrische Isomorphismen zwischen Lipschitzräumen betrachten und es hierfür aufgrund von Bemerkung 1.1.7 bzw. Satz 1.1.8 reicht, von
auszugehen, ist es nach dem gerade erhaltenen Ergebnis nur anständig, dies auch zu tun. So brauchen wir angesichts des obigen Satzes nicht zwischen
und
auf
unterscheiden und können auch im folgenden stets von nur einer Kantorovich-Rubinstein-Norm sprechen.
Nun treten endlich -- wie schon lange angekündigt -- die Lipschitzräume auf den Plan, und zwar über die Dualität, die analog in Definition 3.3.3 von Bade, Curtis und Dales bereits betrachtet wurde. Man beachte im Beweis des Theorems, wie über den Umweg (3.4.4) ganz natürlich eine Lipschitzkonstante ins Spiel kommt.
Insgesamt folgt aus (3.4.8) und (3.4.11) nach Definition der Lipschitznorm
und der KR-Norm
die Tatsache
, woraus man
und
schließt.
Die einfachsten Maße
und
,
, reichen aus, um auch die umgekehrte Abschätzung zu zeigen. Zunächst gilt
Zum Beweis der Surjektivität von
sei ein Funktional
gegeben. Wir betrachten die durch
Mit dem Beweis dieses Theorems sind wir nun in der glücklichen Lage, zeigen zu können, daß die Ungleichung in Lemma 3.4.2 sogar eine Gleichheit ist, daß man also über die KR-Norm die Metrik auf
zurückgewinnt. Zusammen mit dem Theorem haben wir damit als Abrundung dieser Einführung in die Kantorovich-Rubinstein-Theorie die beiden einleitend angesprochenen entscheidenden ``Vorteile'' der KR-Norm gegenüber der Variationsnorm eingesehen.