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Die Kantorovich-Rubinstein-Norm

Das übergeordnete Ziel im weiteren Verlauf von Kapitel 3 ist es, der Natur der Dualität $ \ell ip(K)''\cong Lip(K)$ ganz auf den Grund zu gehen und alle kompakten metrischen Räume, für die diese Dualität besteht, vollständig zu charakterisieren. Zu diesem Zweck wollen wir eine Idee von L. G. Hanin aus dem Jahre 1992, zu finden in [15], [16] und [17], zu verstehen versuchen. Hanin hatte Kenntnis von allen bisher in diesem Kapitel behandelten Artikeln, angefangen von de Leeuw [33] bis hin zu Bade, Curtis und Dales [2], und darüber hinaus studierte er frühere Arbeiten des Nobelpreisträgers L. V. Kantorovich (teilweise mit dem Ko-Autor G. S. Rubinstein), deren wichtigste Ergebnisse im Klassiker [29, S. 225-237] über Funktionalanalysis zusammengefaßt sind.

Die Idee von Hanin ist motiviert durch den Rieszschen Darstellungssatz (siehe II.2.5 in [55]), der ja den Dualraum von $ C(K)$ für ein Kompaktum $ K$ als den Banachraum $ (M(K),\Vert\,{\cdot}\,\Vert _{V})$ von regulären Borelmaßen auf $ K$, versehen mit der Variationsnorm $ \Vert\,{\cdot}\,\Vert _{V}$, identifiziert. Daher ist es alles andere als abwegig, die Frage aufzuwerfen, ob es für den Dualraum des Raums $ \ell ip(K)$ von spezielleren stetigen Funktionen nicht auch eine Darstellung über Maße auf $ K$ gibt, zum Beispiel indem man die Variationsnorm durch eine andere geeignete ersetzt. So war es sicher eine kleine Sternstunde für die Mathematik, als Hanin feststellte, daß diese Frage im Jahre 1942, also bereits 50 Jahre bevor sie gestellt wurde, schon fast beantwortet war -- und noch dazu im Hinblick auf die Dualität $ \ell ip(K)''\cong Lip(K)$! Natürlich hatte sich der Autor, Kantorovich, damals, als er seine Kantorovich-Rubinstein-Norm definierte, für etwas ganz anderes interessiert, aber so ist es nun mal in der Mathematik.

Der bisherige Umfang dieser Arbeit verbietet eine umfassende Darstellung der Kantorovich-Rubinstein-Theorie, die gleichwohl lohnenswert wäre und auf den Seiten 225-237 in [29] ausführlich dargestellt ist. So wird im weiteren Verlauf das, was man zum Verständnis der Verzahnung dieser Theorie mit unserer Theorie über Lipschitzräume wissen muß, so verdichtet wie möglich beschrieben. Im Hinterkopf haben sollte man dabei die folgenden beiden Defizite der Variationsnorm auf $ M(K)$: Erstens ``sieht'' diese Norm die Metrik auf $ K$ ``praktisch'' nicht, da sie nach Definition (siehe [55, S. 21/22]) nur von der Topologie auf $ K$ abhängt, mithin invariant unter allen Metriken ist, die die gleiche Topologie auf $ K$ erzeugen. So kommt es auch, daß für verschiedene Punktmaße $ \delta_{x}$ und $ \delta_{y}$ auf $ K$ stets $ \Vert\delta_{x}-\delta_{y}\Vert _{V}=2$ gilt. Wir werden demgegenüber sehen, daß die Kantorovich-Rubinstein-Norm $ \Vert\,{\cdot}\,\Vert _{K}$ durch $ \Vert\delta_{x}-\delta_{y}\Vert _{K}=d(x,y)$ $ \forall x,y\in K$ die Metrik $ d$ auf $ K$ reproduziert. Das zweite Defizit des Raums $ (M(K),\Vert\,{\cdot}\,\Vert _{V})$ besteht darin, daß die Beschreibung seines Dualraums, der auf komplizierte $ L^{\infty}$-Räume führt, sehr schwierig und unanschaulich ist. Der Dualraum von $ (M(K),\Vert\,{\cdot}\,\Vert _{K})$ hingegen ist uns bereits seit 1.1.2 bekannt.

Kantorovich betrachtet in [29] das folgende sehr anschauliche Transportproblem. Es sei eine Menge $ K$ von $ n$ Orten gegeben, die der Einfachheit halber mit Zahlen $ K=\{1,\dots,n\}$ bezeichnet seien. An diesen Orten seien entweder Produzenten oder Konsumenten eines gewissen Produkts angesiedelt. Dabei stehe die Zahl $ \nu_{i}$ für die pro Jahr am Ort $ i$ produzierten oder konsumierten Einheiten des Produkts, wobei das Vorzeichen von $ \nu_{i}$ mit $ \nu_{i}\leq 0$ Produktion und mit $ \nu_{i}>0$ Konsum andeutet. Sind mit $ \nu_{i}^{+}=\max\{\nu_{i},0\}$ und mit $ \nu_{i}^{-}=-\min\{\nu_{i},0\}$ bezeichnet, so kann man den Vektor $ (\nu_{i}^{-})_{i=1}^{n}$ als Anfangszustand (Herstellerebene) und $ (\nu_{i}^{+})_{i=1}^{n}$ als Endzustand (Verbraucherebene) auffassen. (Stellt man sich vor, daß an den Orten in $ K$ sowohl produziert als auch konsumiert wird, so stellen die $ \nu_{i}^{-}$ Produktionsüberschüsse und die $ \nu_{i}^{+}$ Defizite dar.) Insgesamt soll genauso viel produziert wie konsumiert werden (bzw. die Überschüsse und die Defizite sollen sich gerade ausgleichen), so daß man von

$\displaystyle \sum_{i=1}^{n}(\nu_{i}^{+}-\nu_{i}^{-})=\sum_{i=1}^{n}\nu_{i}=0$ (1)

ausgeht. Vom Ort $ i$ zum Ort $ j$ sollen pro Jahr $ \psi_{ij}$ Einheiten des Produkts transportiert werden, womit durch die Matrix $ \psi=(\psi_{ij})$ ein Transportplan gegeben ist. Es werden also pro Jahr $ \sum_{i=1}^{n}\psi_{ik}$ Produkteinheiten vom Ort $ k$ importiert und $ \sum_{j=1}^{n}\psi_{kj}$ Einheiten exportiert, und die Differenz ist gerade die hergestellte oder benötigte Produktmenge (bzw. der Überschuß oder das Defizit)

$\displaystyle \sum_{i\in K}\psi_{ik}-\sum_{j\in K}\psi_{kj}=\nu_{k}^{+}-\nu_{k}^{-}=\nu_{k}.$ (2)

Der Transportplan vermittelt also den Übergang vom Anfangszustand $ (\nu_{i}^{-})_{i=1}^{n}$ zum Endzustand $ (\nu_{i}^{+})_{i=1}^{n}$. Belaufen sich die Kosten für den Transport einer Einheit des Produktes vom Ort $ i$ zum Ort $ j$ auf $ d_{ij}$ Geldeinheiten, so betragen die gesamten Transportkosten pro Jahr

$\displaystyle c(\psi)=\sum_{i\in K}\sum_{j\in K}d_{ij}\psi_{ij}$ (3)

Geldeinheiten, und es ist klar, daß man nach einem Transportplan $ \psi$ sucht, für den $ c(\psi)$ minimal wird.

Man weiß aus der unter anderem von Kantorovich vorangetriebenen Theorie der linearen Programmierung, daß ein solcher Transportplan immer existiert und auch -- was hier nicht unwichtig sein dürfte -- wie man ihn errechnet. In der Praxis wird man getrost davon ausgehen können, daß ein ``nichttrivialer'' Transport immer etwas kostet und daß Spediteure keine unsinnigen Transportwege wählen. Nimmt man weiter an, daß eine Reise von einem Ort zu einem anderen genauso teuer ist wie die Rückfahrt, so stellt die Matrix $ (d_{ij})$ eine Metrik auf $ K$ dar.

Auf diese Weise wird man ganz natürlich auf eine Verallgemeinerung des Transportproblems geführt, wenn man die beteiligten Orte nicht mehr zählen möchte oder kann, zum Beispiel wenn sie Punkte in einem unendlichen kompakten metrischen Raum sind. Allgemein hat man nun ein von Kantorovich untersuchtes Massentransportproblem vorliegen. An die Stelle der Vektoren $ (\nu_{i}^{-})_{i=1}^{n}$ und $ (\nu_{i}^{+})_{i=1}^{n}$ treten nun nichtnegative Maße $ \nu_{-}$ und $ \nu_{+}$ auf den Borelmengen $ \mathcal{B}(K)$ von $ K$, wobei man analog zu oben von einer durch $ \nu_{-}$ gegebenen Anfangsverteilung überschüssiger Masse auf $ K$ (gemessen auf den Borelmengen von $ K$) durch ``Umschichten'' zu einer Endverteilung $ \nu_{+}$ dieser Masse kommen möchte. Daß dabei nichts verloren geht, wird wie in (3.4.1) durch $ \nu_{-}(K)=\nu_{+}(K)$ sichergestellt, so daß für das Maß

$\displaystyle \nu:=\nu_{+}-\nu_{-}\in M_{0}(K):=\{\mu\in M(K):\mu(K)=0\}
$

gilt. Umgekehrt gibt natürlich jedes Maß $ \nu\in M_{0}(K)$ über seine negative und positive Variation $ \nu_{-}$ und $ \nu_{+}$ (siehe Satz A.4.4 in [55]: Hahn-Jordan-Zerlegung) Anlaß zu solchen Anfangs- und Endverteilungen. Für eine Verschiebung der Masse zwischen diesen Zuständen sorgt nun ein nichtnegatives Maß $ \psi\in M(K^{2})$, welches mit $ \psi(e_{1},e_{2})$ die von der Menge $ e_{1}$ in die Menge $ e_{2}$ transportierte Masse angibt, aber natürlich so, daß es über

$\displaystyle \psi(K,e)-\psi(e,K)=\nu_{+}(e)-\nu_{-}(e)=\nu(e)\quad\forall e\in \mathcal{B}(K)$ (4)

analog zu (3.4.2) auch wirklich zwischen Anfangs- und Endzustand ``vermittelt''. Die Familie aller solcher Maße für ein festes $ \nu\in M_{0}(K)$ sei mit $ \Psi_{\nu}$ bezeichnet. Der Aufwand für den Transport von Masse zwischen den Punkten $ x,y\in K$ wird mit $ d(x,y)$ durch die Metrik $ d$ auf $ K$ gegeben, so daß

$\displaystyle c(\psi)=\int_{K^{2}} d(x,y)\,d\psi(x,y)$ (5)

als ``verschmiertes'' Analogon an die Stelle von (3.4.3) tritt.

Wieder versucht man, den Aufwand $ c(\psi)$ für den Massentransport so klein wie möglich zu machen, und Kantorovich zeigt, daß es einen Transport $ \psi_{m}$, für den $ c(\psi_{m})$ minimal wird, immer gibt. Er entwickelt zudem (wie im diskreten Fall) notwendige und hinreichende Bedingungen für ein solches $ \psi$ und baut dafür seine Theorie auf, welche ihn (an dieser Stelle scheint dies fast mysteriös) auch in die Welt der Lipschitzräume führt. Wie schon angekündigt tritt dabei eine neue Norm für Maße auf $ K$ in Erscheinung, und hier ist sie:

$\displaystyle \Vert\nu\Vert^{0}_{K}:=\inf_{\psi\in \Psi_{\nu}}\int_{K^{2}} d(x,y)\,d\psi(x,y)\quad\forall \nu\in M_{0}(K).$ (6)

Der geringstmögliche Aufwand für den von $ \nu\in M_{0}(K)$ provozierten Massentransport auf $ K$ gibt also Anlaß zu einer Norm auf $ M_{0}(K)$, der Kantorovich-Rubinstein-Norm $ \Vert\,{\cdot}\,\Vert _{K}^{0}$, die im folgenden mit KR-Norm abgekürzt sei. Wir wollen die Normeigenschaften hier nicht nachrechnen, aber darauf hinweisen, daß auch Kantorovich die Tatsache, daß $ \Vert\,{\cdot}\,\Vert _{K}^{0}$ nicht nur eine Halbnorm ist, erst zeigen konnte, nachdem er (mit einer Variante von Theorem 3.4.5) die Verbindung zu Lipschitzräumen hergestellt hatte (natürlich ohne das noch nicht Bewiesene vorher benutzt zu haben, wie man sich in [29] überzeugen kann).

Man sieht leicht ein, daß mit

$\displaystyle \psi_{\nu}(e,e'):=\frac{\nu_{-}(e)\nu_{+}(e')}{\nu_{+}(K)}\quad\forall e,e'\in \mathcal{B}(K)$ (7)

nach Fortsetzung auf $ \mathcal{B}(K^{2})$ für jedes $ \nu\in M_{0}(K)$ ein $ \psi_{\nu}\in \Psi_{\nu}$ definiert ist (ein normalisiertes Produktmaß tut's also schon). Für den Träger $ \mathop{\rm supp}\nolimits \psi_{\nu}$ gilt natürlich $ \mathop{\rm supp}\nolimits \psi_{\nu}=(\mathop{\rm supp}\nolimits \nu_{-})\times(\mathop{\rm supp}\nolimits \nu_{+})$, und weiter ist die Gleichheit $ \psi_{\nu}(K,K)=\nu_{-}(K)=\nu_{+}(K)$ klar. Hieraus folgt die Abschätzung

$\displaystyle \int_{K^{2}} d(x,y)\,d\psi_{\nu}(x,y)\leq \nu_{+}(K)\max\{d(x,y):...
...n\mathop{\rm supp}\nolimits \nu_{-}, y\in \mathop{\rm supp}\nolimits \nu_{+}\}
$

und mit $ \Vert\nu\Vert _{V}=\vert\nu\vert(K)=\nu_{+}(K)+\nu_{-}(K)$ (siehe Satz A.4.4 in [55]) damit das grundlegende

Lemma 3.4.1   Für jedes $ \nu\in M_{0}(K)$ gilt

$\displaystyle \Vert\nu\Vert _{K}^{0}\leq \nu_{+}(K)\mathop{\rm diam}\nolimits (...
...\nolimits \nu)\leq\frac{1}{2}\Vert\nu\Vert _{V}\mathop{\rm diam}\nolimits (K).
$

Dieses Ergebnis stellt eine erste Verbindung der KR-Norm mit der Metrik auf $ K$ her (welche für die Variationsnorm schlichtweg nicht existieren kann, da diese ja über die Topologie bzw. sogar nur über die Borelmengen definiert ist), und speziell folgt das

Korollar 3.4.2   Für das Maß $ \delta_{x}-\delta_{y}\in M_{0}(K)$, $ x,y\in K$, gilt

$\displaystyle \Vert\delta_{x}-\delta_{y}\Vert _{K}^{0}\leq d(x,y).
$

Das nächste Lemma ist essentiell für alles weitere und läßt mit Blick auf Satz 3.1.7 bereits Gutes hoffen.

Lemma 3.4.3   Die Maße mit endlichem Träger liegen dicht in $ M_{0}(K)$ bezüglich der Kantorovich-Rubinstein-Norm.

Da der Beweis weder schwer noch lang ist und genau das funktioniert, was man gerne täte, sei er hier festgehalten.

Beweis. [Beweis] Man zerlegt für ein gegebenes $ \nu\in M_{0}(K)$ das Kompaktum $ K$ disjunkt in Borelmengen $ e_{i}$, $ i=1,\dots, n$, vom Durchmesser höchstens $ \frac{\varepsilon }{\Vert\nu\Vert _{V}}$ und definiert das Maß

$\displaystyle \nu_{p}:=\sum_{i=1}^{n}\nu(e_{i})\delta_{x_{i}},
$

wenn $ x_{i}\in e_{i}$ für $ i=1,\dots, n$ beliebig gewählt sind. Dann ist $ \nu_{p}$ ein Maß mit endlichem Träger und in $ M_{0}(K)$, denn es ist

$\displaystyle \nu_{p}(K)=\sum_{i=1}^{n}\nu(e_{i})=\nu(K)=0.
$

Nun beobachtet man, daß die Maße $ \nu_{i}$, $ i=1,\dots, n$, definiert durch

$\displaystyle \nu_{i}(e)=\nu(e\cap e_{i})-\nu(e_{i})\delta_{x_{i}}(e)\quad\forall e\in \mathcal{B}(K),
$

in $ M_{0}(K)$ sind und die Eigenschaft

$\displaystyle \sum_{i=1}^{n}\nu_{i}=\nu-\nu_{p}
$

besitzen. Weiter ist für jedes $ i$ der Träger von $ \nu_{i}$ im Abschluß von $ e_{i}$ enthalten, so daß $ \mathop{\rm diam}\nolimits (\mathop{\rm supp}\nolimits \nu_{i})\leq \frac{\varepsilon }{\Vert\nu\Vert _{V}}$ und

$\displaystyle (\nu_{i})_{+}(K)=(\nu_{i})_{+}(e_{i})\leq \nu_{+}(e_{i})-(-\nu_{-}(e_{i}))=\nu_{+}(e_{i})+\nu_{-}(e_{i})
$

gilt, womit man aus Lemma 3.4.1

$\displaystyle \Vert\nu_{i}\Vert _{K}^{0}\leq\frac{\varepsilon }{\Vert\nu\Vert _{V}}(\nu_{+}(e_{i})+\nu_{-}(e_{i}))\quad\forall i=1,\dots,n
$

schließt. Und jetzt rechnet man

$\displaystyle \Vert\nu-\nu_{p}\Vert _{K}^{0}$ $\displaystyle =\left\Vert\sum_{i=1}^{n}\nu_{i}\right\Vert _{K}^{0}\leq \sum_{i=...
...\varepsilon }{\Vert\nu\Vert _{V}} \sum_{i=1}^{n}(\nu_{+}(e_{i})+\nu_{-}(e_{i}))$    
  $\displaystyle =\frac{\varepsilon }{\Vert\nu\Vert _{V}}(\nu_{+}(K)+\nu_{-}(K))=\varepsilon .$    

$ \qedsymbol$

Im nächsten Theorem wird nun die angestrebte Verbindung zwischen den Maßen mit der KR-Norm und den Lipschitzräumen hergestellt. Kantorovich hat dieses Theorem für $ (M_{0}(K),\Vert\,{\cdot}\,\Vert _{K}^{0})$ und $ (Lip_{0}(K),L(\cdot))$ bewiesen. Es ist aber nicht schwer, das Ergebnis gleich auf $ (Lip(K),\Vert\,{\cdot}\,\Vert _{L})$ zu übertragen, und das werden wir auch tun, nachdem die dafür passende Definition der KR-Norm auf ganz $ M(K)$ vorgenommen wurde.

Satz und Definition 3.4.4   Für einen kompakten metrischen Raum $ K$ und $ \mu\in M(K)$ setze

$\displaystyle \Vert\mu\Vert _{K}=\inf_{\nu\in M_{0}(K)}(\Vert\nu\Vert _{K}^{0}+\Vert\mu-\nu\Vert _{V}).
$

Dann ist $ \Vert\,{\cdot}\,\Vert _{K}$ eine Norm, die Kantorovich-Rubinstein-Norm auf $ M(K)$. Sie ist auf $ M_{0}(K)$ äquivalent zur klassischen KR-Norm $ \Vert\,{\cdot}\,\Vert _{K}^{0}$ und mit dieser im Falle $ \mathop{\rm diam}\nolimits (K)\leq 2$ sogar identisch. Speziell gilt $ \Vert\delta_{x}\Vert _{K}=1\enspace\forall x\in K$, und der durch die Punktmaße aufgespannte Unterraum liegt dicht in $ M(K)$ bezüglich der Norm  $ \Vert\,{\cdot}\,\Vert _{K}$. Schließlich sind $ (M_{0}(K),\Vert\,{\cdot}\,\Vert _{K}^{0})$ und $ (M(K),\Vert\,{\cdot}\,\Vert _{K})$ für unendliches $ K$ nicht vollständig.

Beweis. [Beweis] Die Normeigenschaft sieht man durch kurzes Innehalten ein. Hat man ein $ \mu\in M_{0}(K)$, so bemerkt man einerseits

$\displaystyle \Vert\mu\Vert _{K}\leq\Vert\mu\Vert _{K}^{0}+\Vert\mu-\mu\Vert _{V}=\Vert\mu\Vert _{K}^{0}
$

und andererseits mit Lemma 3.4.1 und beliebigem $ \nu\in M_{0}(K)$

$\displaystyle \Vert\mu\Vert _{K}^{0}\leq\Vert\nu\Vert _{K}^{0}+\Vert\mu-\nu\Ver...
...ert _{K}^{0}+\frac{1}{2}\mathop{\rm diam}\nolimits (K)\Vert\mu-\nu\Vert _{V},
$

also $ \Vert\mu\Vert _{K}^{0}\leq\max(1,\mathop{\rm diam}\nolimits (K)/2)\Vert\mu\Vert _{K}$. Hieraus folgt die Äquivalenz und darüberhinaus für $ \mathop{\rm diam}\nolimits (K)\leq 2$ sogar die Gleichheit der beiden Normen.

Für die Punktmaße sieht man sofort $ \Vert\delta_{x}\Vert _{K}\leq 1$, und weiter gilt mit jedem $ \nu\in M_{0}(K)$ die Tatsache $ (\delta_{x}-\nu)(K)=1$, also sicher $ \Vert\delta_{x}-\nu\Vert _{V}=\vert\delta_{x}-\nu\vert(K)\geq 1$ und daher $ \Vert\delta_{x}\Vert _{K}=1$. Daß der durch die Punktmaße aufgespannte Unterraum dicht in $ (M(K),\Vert\,{\cdot}\,\Vert _{K})$ liegt, folgt unmittelbar aus Lemma 3.4.3. Ist nämlich ein Maß $ \mu\in M(K)\backslash M_{0}(K)$ gegeben, so ist für ein beliebiges $ x\in K$ offenbar $ \mu'=\mu-\mu(K)\delta_{x}\in M_{0}(K)$. Nun gibt es aber ein Maß $ \mu_{p}'\in M_{0}(K)$ mit endlichem Träger, so daß $ \Vert\mu'-\mu'_{p}\Vert _{K}^{0}\leq\varepsilon $ gilt. Also ist (unter Beachtung der Äquivalenz der Normen $ \Vert\,{\cdot}\,\Vert _{K}^{0}$ und $ \Vert\,{\cdot}\,\Vert _{K}$ auf $ M_{0}(K)$) das Maß $ \mu(K)\delta_{x}+\mu'_{p}\in M(K)$ mit endlichem Träger eine Approximation von $ \mu$ bezüglich $ \Vert\,{\cdot}\,\Vert _{K}$.

Jetzt muß nur noch gezeigt werden, daß $ (M_{0}(K),\Vert\,{\cdot}\,\Vert _{K}^{0})$ und $ (M(K),\Vert\,{\cdot}\,\Vert _{K})$ für unendliches $ K$ nicht vollständig sind. Zunächst ist $ (M_{0}(K),\Vert\,{\cdot}\,\Vert _{V})$ ein abgeschlossener Unterraum von $ (M(K),\Vert\,{\cdot}\,\Vert _{V})$ und damit selbst ein Banachraum. Denn wäre ein $ \mu\in M(K)\backslash M_{0}(K)$ Häufungspunkt einer Folge $ (\mu_{n})\subseteq M_{0}(K)$, so hätte man für alle $ n\in {\mathbb{N}}$ stets $ (\mu-\mu_{n})(K)=\mu(K)\neq 0$, also auch $ \Vert\mu-\mu_{n}\Vert _{V}\geq \vert\mu(K)\vert>0$ im Widerspruch zu $ \Vert\mu-\mu_{n}\Vert _{V}\to 0$ für $ n\to \infty$. Aus Lemma 3.4.1 folgt nun, daß die Identität

$\displaystyle Id:(M_{0}(K),\Vert\,{\cdot}\,\Vert _{V})\to(M_{0}(K),\Vert\,{\cdot}\,\Vert _{K}^{0})
$

stetig ist. Sie ist also nach dem Satz über die offene Abbildung (siehe konkret das Korollar IV.3.5 in [55]) genau dann ein Isomorphismus, wenn $ (M_{0}(K),\Vert\,{\cdot}\,\Vert _{K}^{0})$ vollständig ist. Gleiches gilt für $ (M(K),\Vert\,{\cdot}\,\Vert _{K})$. Da $ K$ als kompakt und unendlich vorausgesetzt ist, existiert eine Cauchyfolge $ (x_{i})_{i\geq 0}$ mit paarweise verschiedenen $ x_{i}\in K$. Damit ist wegen Lemma 3.4.2 auch $ (\delta_{x_{i}})$ eine Cauchyfolge in $ (M(K),\Vert\,{\cdot}\,\Vert _{K})$, obwohl stets $ \Vert\delta_{x_{i}}-\delta_{x_{j}}\Vert _{V}=2$ für $ i\neq j$ gilt. Folglich ist $ (M(K),\Vert\,{\cdot}\,\Vert _{K})$ kein Banachraum, und Gleiches schließt man für $ (M_{0}(K),\Vert\,{\cdot}\,\Vert _{K}^{0})$, wenn man die Cauchyfolge $ (\delta_{x_{i}}-\delta_{x_{i-1}})_{i\geq 1}\subseteq M_{0}(K)$ ansieht. $ \qedsymbol$

Da wir in diesem Kapitel isometrische Isomorphismen zwischen Lipschitzräumen betrachten und es hierfür aufgrund von Bemerkung 1.1.7 bzw. Satz 1.1.8 reicht, von $ \mathop{\rm diam}\nolimits (K)\leq 2$ auszugehen, ist es nach dem gerade erhaltenen Ergebnis nur anständig, dies auch zu tun. So brauchen wir angesichts des obigen Satzes nicht zwischen $ \Vert\,{\cdot}\,\Vert _{K}^{0}$ und $ \Vert\,{\cdot}\,\Vert _{K}$ auf $ M_{0}(K)$ unterscheiden und können auch im folgenden stets von nur einer Kantorovich-Rubinstein-Norm sprechen.

Nun treten endlich -- wie schon lange angekündigt -- die Lipschitzräume auf den Plan, und zwar über die Dualität, die analog in Definition 3.3.3 von Bade, Curtis und Dales bereits betrachtet wurde. Man beachte im Beweis des Theorems, wie über den Umweg (3.4.4) ganz natürlich eine Lipschitzkonstante ins Spiel kommt.

Theorem 3.4.5   Die Dualität

$\displaystyle \langle h,\mu\rangle = \int_{K}hd\mu \qquad (h\in Lip(K),\,\mu\in M(K))
$

vermittelt einen isometrischen Isomorphismus $ j$ zwischen dem Lipschitzraum $ Lip(K)$ und dem Dualraum $ (M(K),\Vert\,{\cdot}\,\Vert _{K})'$.

Beweis. [Beweis] Die Wohldefiniertheit von $ j$ ergibt sich aus den nachfolgenden Abschätzungen, und die Linearität von $ j$ ist klar. Seien also $ h\in Lip(K)$ sowie $ \mu\in M(K)$ gegeben und weiter $ \nu\in M_{0}(K)$ und $ \psi\in\Psi_{\nu}$ beliebig. Dann gilt

$\displaystyle j(h)(\mu)=\int_{K}hd\mu=\int_{K}h(x)d(\mu-\nu)(x)+\int_{K}h(x)d\nu(x)
$

und damit zunächst

$\displaystyle \left\vert\int_{K}h(x)d(\mu-\nu)(x)\right\vert\leq \Vert h\Vert _{\infty}\Vert\mu-\nu\Vert _{V}\quad\forall\nu\in M_{0}(K).$ (8)

Weiter rechnet man nach Wahl von $ \psi\in\Psi_{\nu}$

$\displaystyle \int_{K}h(x)d\nu(x)$ $\displaystyle =\int_{K}h(x)d\psi(K,x)-\int_{K}h(x)d\psi(x,K)$    
  $\displaystyle =\int_{K^{2}}h(x)d\psi(y,x)-\int_{K^{2}}h(y)d\psi(y,x)$ (9)
  $\displaystyle =\int_{K^{2}}\left(h(x)-h(y)\right)d\psi(y,x),$    

also nach Definition der Lipschitzkonstanten

$\displaystyle \left\vert\int_{K}h(x)d\nu(x)\right\vert\leq L(h)\int_{K^{2}} d(x,y)\,d\psi(x,y)\quad\forall\psi\in\Psi_{\nu}$ (10)

und damit

$\displaystyle \left\vert\int_{K}h(x)d\nu(x)\right\vert\leq L(h)\Vert\nu\Vert _{K}^{0}.$ (11)

Insgesamt folgt aus (3.4.8) und (3.4.11) nach Definition der Lipschitznorm $ \Vert\,{\cdot}\,\Vert _{L}$ und der KR-Norm $ \Vert\,{\cdot}\,\Vert _{K}$ die Tatsache $ \vert j(h)(\mu)\vert\leq\Vert h\Vert _{L}\Vert\mu\Vert _{K}$, woraus man $ \Vert j(h)\Vert\leq\Vert h\Vert _{L}$ und $ \Vert j\Vert\leq 1$ schließt.

Die einfachsten Maße $ \delta_{x}\in M(K)$ und $ \delta_{x}-\delta_{y}\in M_{0}(K)$, $ x,y\in K$, reichen aus, um auch die umgekehrte Abschätzung zu zeigen. Zunächst gilt

$\displaystyle \vert j(h)(\delta_{x})\vert=\left\vert\int_{K}h(t)d\delta_{x}\right\vert=\vert h(x)\vert\quad\forall x\in K,
$

also wegen $ \Vert\delta_{x}\Vert _{K}=1\enspace\forall x\in K$

$\displaystyle \Vert h\Vert _{\infty}=\sup_{x\in K}\vert j(h)(\delta_{x})\vert\leq\Vert j(h)\Vert.
$

Zweitens hat man

$\displaystyle \vert j(h)(\delta_{x}-\delta_{y})\vert=\left\vert\int_{K}h(t)d(\delta_{x}-\delta_{y})(t)\right\vert=\vert h(x)-h(y)\vert\quad\forall x,y\in K,
$

und hieraus folgt mit Lemma 3.4.2

$\displaystyle L(h)=\sup_{\substack{x,y\in K \\  x\neq y}} \frac{\vert j(h)(\del...
...}-\delta_{y})\vert}{\Vert\delta_{x}-\delta_{y}\Vert _{K}}\leq \Vert j(h)\Vert.
$

Insgesamt ist damit $ j$ als isometrisch nachgewiesen.

Zum Beweis der Surjektivität von $ j$ sei ein Funktional $ \ell\in (M(K),\Vert\,{\cdot}\,\Vert _{K})'$ gegeben. Wir betrachten die durch

$\displaystyle h(x)=\ell(\delta_{x})\quad\forall x\in K
$

definierte Funktion $ h$ auf $ K$. Dann gilt für $ x,y\in K$

$\displaystyle \vert h(x)-h(y)\vert=\vert\ell(\delta_{x}-\delta_{y})\vert\leq \Vert\ell\Vert\Vert\delta_{x}-\delta_{y}\Vert _{K}\leq \Vert\ell\Vert d(x,y)
$

nach Lemma 3.4.2 und weiter $ \vert h(x)\vert=\vert\ell(\delta_{x})\vert\leq \Vert\ell\Vert$ wegen $ \Vert\delta_{x}\Vert _{K}=1\enspace\forall x\in K$. Also folgt $ h\in Lip(K)$, und es gilt nach Definition von $ j$

$\displaystyle j(h)(\delta_{x})=h(x)=\ell(\delta_{x})\quad\forall x\in K,
$

so daß $ j(h)$ und $ \ell$ auf dem durch die Maße mit endlichem Träger aufgespannten Unterraum von $ M(K)$ übereinstimmen. Da dieser Unterraum nach Satz 3.4.4 dicht in $ (M(K),\Vert\,{\cdot}\,\Vert _{K})$ liegt, folgt $ j(h)=\ell$. $ \qedsymbol$

Mit dem Beweis dieses Theorems sind wir nun in der glücklichen Lage, zeigen zu können, daß die Ungleichung in Lemma 3.4.2 sogar eine Gleichheit ist, daß man also über die KR-Norm die Metrik auf $ K$ zurückgewinnt. Zusammen mit dem Theorem haben wir damit als Abrundung dieser Einführung in die Kantorovich-Rubinstein-Theorie die beiden einleitend angesprochenen entscheidenden ``Vorteile'' der KR-Norm gegenüber der Variationsnorm eingesehen.

Korollar 3.4.6   Für alle $ x,y\in K$ gilt

$\displaystyle \Vert\delta_{x}-\delta_{y}\Vert _{K}^{0}= d(x,y).
$

Beweis. [Beweis] Seien $ x_{0}, y_{0}\in K$ gegeben. Für das Punktmaß $ \psi:=\delta_{(y_{0},x_{0})}$ auf $ K^{2}$ mit

$\displaystyle \psi(e,e')=\delta_{y_{0}}(e)\delta_{x_{0}}(e')\quad\forall e,e'\in \mathcal{B}(K)
$

sieht man schnell $ \psi\in \Psi_{(\delta_{x_{0}}-\delta_{y_{0}})}$ ein (vgl. (3.4.7)), und weiter ist natürlich

$\displaystyle \int_{K^{2}} d(x,y)\,d\psi(x,y)=d(x_{0},y_{0}).
$

Hieraus folgt mit $ \nu=\delta_{x_{0}}-\delta_{y_{0}}$ in (3.4.11) nach Definition der KR-Norm

$\displaystyle \left\vert\int_{K}h(x)d(\delta_{x_{0}}-\delta_{y_{0}})(x)\right\vert\leq L(h)\Vert\delta_{x_{0}}-\delta_{y_{0}}\Vert _{K}^{0}\leq d(x_{0},y_{0})
$

für jedes $ h\in Lip(K)$ mit $ L(h)\leq 1$ (ohne hierfür auf Lemma 3.4.2 angewiesen zu sein). Und jetzt zeigen wir einfach, daß für die spezielle Funktion $ h_{0}$, definiert durch

$\displaystyle h_{0}(x)=d(x,y_{0})\quad\forall x\in K,
$

mit $ L(h_{0})\leq 1$ aus dieser Ungleichungskette eine Gleichungskette wird und sind fertig. Wie in (3.4.9) gilt aber

$\displaystyle \int_{K}h_{0}(x)d(\delta_{x_{0}}-\delta_{y_{0}})(x)=\int_{K^{2}}\left(h_{0}(x)-h_{0}(y)\right)d\psi(y,x),
$

und die rechte Seite ist wegen $ \mathop{\rm supp}\nolimits \psi=\{(x_{0},y_{0})\}$ und der speziellen Wahl von $ h_{0}$ gerade $ d(x_{0},y_{0})$. $ \qedsymbol$


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Heiko Berninger 2003-04-25