XXV. KAPITEL – WELCHES HANDELT VON EINEM WAHLGANG IN MAGHREBINIEN.

Desgleichen erhielt das sehr große und ruhmreiche Land Maghrebinien unter der Herrschaft seines Monarchen Nikifor XIV., in Fortführung der durch den verewigten König Nikifor XIII. eingeschlagenen Wege, eine konstitutionelle Verfassung. Dem Volke wurde das Recht zuerkannt, die verantwortlichen Führer in freier und geheimer Wahl selbst zu bestimmen. Allerdings unterschied sich der Vorgang dieser Wahl von den im Westen gebräuchlichen Methoden insofern, als das sogenannte negative Wahlsystem angewendet wurde, wonach nämlich die Wahlberechtigten anzugeben hatten, welchem von den aufgestellten Kandidaten sie die Geschäfte der Regierung nicht anvertrauen wollten. Dadurch wurde eine weit größere Wahlbeteiligung als die in andern Ländern übliche erzielt.

Es ergab sich aber gleich bei der ersten Wahl, dass die Führer der beiden um das Volksvertrauen werbenden Parteien, nämlich die Bojaren Kantakukuruz und Pungaschij als Häupter der sogenannten Hyper-Radikalen einerseits und der Ultra-Extremen anderseits, auf das Tüttelchen genau [denn auch Frauen waren wahlberechtigt] gleich viele Stimmen auf sich vereinigten. Da jedoch keine der Parteien einen Kompromiss mit ihren Grundsätzen vereinbaren konnte, wäre die Lage hoffnungslos gewesen, hätte nicht der weise Monarch aus der Machtvollkommenheit der Krone einen Ausweg gefunden:

Er bestimmte, dass die beiden Führer, Kantakukuruz sowohl wie auch Pungaschij, ihre Anschuldigungen gegeneinander in Öffentlichkeit vorbringen sollten: wem aber von den beiden es gelingen sollte, seinen Gegner einer offenbaren Lüge zu überführen, der sollte an die Spitze des Staates gestellt werden.

Vor dem versammelten Volke trafen also Kantakukuruz und Pungaschij zusammen, und Pungaschij begann:

«Dieser», so begann Pungaschij und deutete damit auf Kantakukuruz, «will die Gunst des Volkes dazu benutzen, um seine und seiner Parteigänger Macht zu festigen.»

«Lügt er oder spricht er wahr?» fragte der Monarch den Opponenten [nämlich: Kantakukuruz].

«Wahr», erwiderte dieser [nämlich: Kantakukuruz], «denn nur unter einer machtvollen Regierung kann das Volk gedeihen. Dieser aber» [und damit deutete er auf Pungaschij] «will das Vertrauen des Volkes dazu missbrauchen, um sich und seine Parteigänger schnöde zu bereichern.»

«Lügt er oder spricht er wahr?» fragte der Monarch den Opponenten [nämlich: Pungaschij].

«Wahr», erwiderte Pungaschij, «denn nur der Reichtum gibt Gelassenheit und Muße genug, sich den Staatsgeschäften mit voller Kraft zu widmen. Dieser aber» [und damit deutete er auf Kantakukuruz] «wird alle Macht dazu verwenden, die Janitscharen zu bewaffnen und auszurüsten, während die Bürger des Landes darben werden.»

«Lügt er oder spricht er wahr?» fragte der Monarch den Opponenten [nämlich: Kantakukuruz].

«Wahr!» entgegnete darauf Kantakukuruz, «denn nur die Sicherheit gegen Überfälle der Nachbarn gewährleistet die Blüte des Landes. Dieser aber» [und damit deutete er auf Pungaschij] «wird Fett an die Bäuche der Bürger züchten, dass sie darüber die Würde der Freiheit vergessen werden.»

«Lügt er oder spricht er wahr?» fragte der Monarch den Opponenten [nämlich: Pungaschij].

«Wahr!» erwiderte darauf Pungaschij, «denn ein voller Bauch ist besser als ein aufgeschlitzter Bauch. Dieser aber» [und damit deutete er auf Kantakukuruz] «wird die Jugend im Gebrauch der Waffen unterweisen, dass darüber die Wissenschaften und alle Werte des Geistes verdorren werden.»

«Lügt er oder spricht er wahr?» fragte der Monarch den Opponenten [nämlich: Kantakukuruz].

«Wahr!» entgegnete darauf Kantakukuruz, «denn nichts nützt ein mit aller Weisheit dieser Erde vollgestopfter Kopf, wenn er abgeschlagen ist. Dieser aber» [und damit deutete er auf Pungaschij] «wird Verweichlichung und Überfluss über das Volk der Maghrebinier bringen, dass Völlerei und Wollust herrschen werden.»

«Lügt er oder spricht er wahr?» fragte der Monarch den Opponenten [nämlich: Pungaschij].

«Wahr!» erwiderte darauf Pungaschij, «denn aus dem Überfluss kommt Verfeinerung und aus dieser wiederum werden die Künste. Dieser aber» [und damit deutete er auf Kantakukuruz] «wird, um Janitscharen zu hecken, die Mädchen unseres Landes zu dummen Glucken und die Jünglinge zu stumpfen Rammlern machen.»

«Lügt er oder spricht er wahr?» fragte der Monarch den Opponenten [nämlich: Kantakukuruz].

«Wahr!» entgegnete darauf Kantakukuruz, «denn von den Müttern kommt die Sitte, und von der Sitte das Recht. Dieser aber» [und damit deutete er auf Pungaschij] «wird das Recht verwildern lassen und die Hüter der Gesetze für Bakschisch bestechlich machen.»

«Lügt er oder spricht er wahr?» fragte der Monarch den Opponenten [nämlich: Pungaschij].

«Wahr!» rief voll Erbitterung Pungaschij. «Denn wie unmenschlich wären die Gesetze ohne das mildernde Mittel des Bakschisch! Dieser aber» [und damit deutete er auf Kantakukuruz] «das Haupt der Ultra-Radikalen, wird in seiner Unbeugsamkeit und seinem Starrsinn soweit gehen, dass er den Bakschisch abschaffen wird.»

«Du lügst!» schrie darauf Kantakukuruz. «Ich selber nehme niemals weniger als tausend Lewonzen!»

So gewann mein Onkel Kantakukuruz den Wahlkampf in Maghrebinien und führte das Land zu einer ungewohnten Blüte.


Ich aber, der ich sein Neffe bin, sage Ihnen im Vertrauen: er nahm auch fünfhundert.